Acht Stunden mit Bio 8 durch Hamburg
Ein Tag on the road mit der Bioabfallkolonne der größten deutschen Hafenstadt

5.45 Uhr, Hamburger Nacht im Oktober. In der Ferne leuchtet der Hafen, um uns herum die orangefarbenen Westen der ca. 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Hamburger Stadtreinigung, die sich vom Betriebshof Nordwest ausschwärmend auf den Weg machen, um die Elb-Metropole mit knapp zwei Millionen Einwohnern vom Abfall zu befreien. Wir wollten wissen, wie ihr Alltag aussieht, und begleiten Michael Wirschke und sein Team auf ihrer Tour.
„Moin, seid ihr Bio 8?“ Der sympathische Mann hinter dem Lenkrad nickt. Wir heften uns an das Heck des Biomüllfahrzeugs, das mit der runden Sammeltrommel entfernt an einen Betonmischer erinnert. Wir fahren zügig durch die sich langsam füllenden Straßen ostwärts Richtung Zentrum. Auf dem Heck entziffern wir das Motto: „Wir rotieren … für Ihren Müll.“ Warum dieses mehr als passend ist, erleben wir während der Tour, in deren Verlauf Michael, Blandine und Frank rund 750 der insgesamt 150.000 Bio-Abfallbehälter leeren, in denen über das ganze Stadtgebiet verteilt die imposante Menge von durchschnittlich 75.000 Tonnen Bioabfall pro Jahr gesammelt wird.



750 Mal hoch die Behälter – oft löst sich die schwere Biomasse nicht auf Anhieb
Nach einer viertelstündigen Fahrt hält Michael Wirschke an einem Platz, auf dem die ersten grünen Behälter auf uns warten. Blandine und Frank springen aus dem Fahrerhaus, ziehen die 2- und 4-Rad-Behälter mit geübten Handgriffen zur Aufnahme, die Rümpfe kippen mit einem Ruck nach oben, zappeln kopfüber in der kühlen Morgenluft, bis sich das gesamte, oft schwere und verschlunge Grünzeug löst, was nicht selten erst im zweiten Anlauf geschieht, dann werden die Behälter auf das Pflaster abgesetzt und im Handumdrehen zur Ausgangsposition zurückgeschoben. So geht es nun in enger Taktung weiter, Blandine und Frank stehen hinten auf dem Wagen, steigen auf und ab, laufen parallel mit und voraus, ziehen Behälter aus Hinterhöfen und Gängen, denn nur die mit dem roten Deckel werden von den Anwohnern direkt an die Straße verbracht, und übernehmen an besonders engen Stellen die Rolle des Einweisers.




Mit dem Auge von 31 Jahren Fahrpraxis kommst du um jede Ecke
Auf die Frage, wie er reagiert, wenn ein falsch geparktes Auto die Straße versperrt, zuckt Michael Wirschke nur mit den Schultern. In der Tat kann man sich kaum ein Ereignis vorstellen, das diesen Routinier mit drei Jahrzehnten Berufserfahrung aus der Ruhe bringen könnte. „Meistens setzte ich zurück und fahr dann von der anderen Seite ran, das geht schneller als die Polizei zu rufen und auf den Abschleppwagen zu warten, da verlierst du locker 2 Stunden. Kann man machen, aber ich bleibe lieber in Bewegung.“

In Sachen Sicherheit hat sich viel getan
Mit Sonnaufgang verlagert Bio 8 das Arbeitsgebiet in den vornehmen Stadtteil Othmarschen und wird nun zusehends zu einem Ärgernis in dem dichten Berufsverkehr. Hinter uns staut es sich gewaltig, bei jeder Gelegenheit schießen hektisch überholende Pendler und Fahrradfahrer durch die sich bietenden Lücken im Gegenverkehr. Die Überquerung der Fahrbahn, um Behälter von den Grundstücken heranzuholen, erfordert allergrößte Vorsicht. „Da sind wir Profis und passen auf. Am Fahrzeug selbst hat sich die Sicherheitstechnik mit ihrer Sensorik extrem positiv entwickelt, dadurch können viele Unfälle durch Müdigkeit oder nachlassende Aufmerksamkeit vermieden werden.“




Pro Tag fährt Bio 8 bis zu 78 Straßen ab und sammelt im Schnitt 13 t Bio-Abfall
Während Michael über die Sicherheitslage spricht, staunen wir über das Pensum, das Blandine und Frank abspulen. Leider haben wir keinen Kilometerzähler dabei, aber da kommen sicher einige zusammen. Während der Brotpause an einer verkehrsberuhigten Ecke verrät uns Blandine, die erst seit ein paar Monaten im Team dabei ist, dass ihr anfangs abends die Füße ganz schön weh taten, sie sich inzwischen aber an das Laufen gewöhnt habe. Immerhin sei sie dafür den ganzen Tag an der frischen Luft unterwegs, was nicht jeder Berufstätige von sich behaupten könne. Frank stimmt ihr zu, er ist wegen eines Personalengpasses vorrübergehend von der Sperrmüllkolonne eingesprungen und findet sich auf Anhieb im Biobusiness zurecht.






Woher wir wissen, wo die Behälter stehen? – Kommunikation ist Trumpf
Es ist nicht zu übersehen, dass das Team Bio 8 in Othmarschen viele Behälter von den Grundstücken holt, dabei mit Geschick verriegelte Gartentore öffnet und sich zielstrebig zu den Einhausungen und Stellplätzen bewegt. „Eigentlich braucht man ungefähr ein halbes Jahr, bis man raus hat, wie der Hase läuft. Aber Blandine und Frank sind schon nach kurzer Zeit ziemlich fit. Wenn sie unsicher sind, zeige ich über den Rückspiegel an, wo die nächsten Behälter stehen und die beiden tauschen sich dann hinten auf dem Wagen aus.“

Das Schöne ist, dass man Stadt und Leute kennenlernt
Es funktioniert anscheinend bestens mit der Kommunikation. Jedenfalls machen wir an eine Straße nach der anderen einen Haken. Inzwischen ist es mittag und die heutige Tour neigt sich dem Ende entgegen. Von 6.00 bis 14.06 Uhr dauert die Schicht, der Wagen soll planmäßig gegen 13 Uhr wieder auf dem Betriebshof Nordwest einlaufen. Es bleibt also noch ein bisschen Zeit zum Plaudern. „Mittlerweile kennt man viele Anwohner, jedenfalls die, die ihren Behälter mit dem roten Deckel an die Straße schieben und schon warten, wenn wir kommen, um ihn wieder reinzuholen. Da hinten übrigens wohnt Vitali Klitschko. Der hat auch nen roten Deckel.“ Michael strahlt eine angenehme Ruhe und Zufriedenheit aus, er fährt seit 31 Jahren Müllwagen und war vorher 15 Jahre als Steinsetzer tätig, was aus seiner Sicht ein wirklich harter Job war. Jetzt ist er jeden Tag hoch oben in seinem Cockpit über den Straßen Hamburgs unterwegs, um aus dem Abfall von heute die Ressource von morgen zu machen.



In Hamburch sacht man Tschüss
Wir biegen ein letzes Mal ab, nämlich auf das Gelände der Stadtreinigung und verabschieden uns mit einem hamburgischen Tschüss und einem breiten Lächeln von unserem Bio 8 Team. Es war eine Freude Michael Wirschke, Blandine Föhse und Frank Schäfer auf ihrer Tour durch Hamburgs Westen zu begleiten.



PS: Was geschieht eigentlich mit ca. 75.000 t Hamburger Bioabfall pro Jahr?
Aus dem Bioabfall wird Biogas produziert, das zur Stromversorgung von Haushalten in Hamburg und Schleswig-Holstein genutzt wird. Anschließend entsteht aus dem Abfall hochwertiger Kompost, der als Düngemittel sehr geschätzt wird. Der komplette Verwertungsprozess findet im Biogas- und Kompostwerk Bützberg statt.
Nachdem die Müllfahrzeuge den Biomüll aus Hamburger Haushalten geladen haben, fahren sie zum Biowerk und entladen dort in einer geschlossenen Annahmehalle mit Entlüftungssystem den gesammelten Bioabfall. Der entladene Bioabfall wird anschließend mithilfe eines großen Radladers auf ein Förderbandsystem transportiert.
Dort befreien Siebsysteme das organische Material von Fremdstoffen, wie z.B. Plastikfolien oder Metallen. Außerdem zerkleinert eine Schneckenmühle das Rohmaterial, bis die Einzelteile kleiner als 8 cm sind.
Mit dem aufbereiteten Material werden gasdichte Kammern, sog. Fermenter, der Biogasanlage befüllt.
(Ein Fermenter ist ca. 24 Meter lang, 5 Meter breit und 4,5 Meter hoch, sodass bis zu vier Müllfahrzeuge darin Platz finden würden).
In insgesamt 21 Fermentern zersetzen Milliarden von methanproduzierenden Bakterien drei Wochen lang das aufbereitete organische Material. Dies erfolgt unter Luftausschluss und bei konstant 38°C.
Das erzeugte Biogas besteht jeweils zur Hälfte aus Methan und Kohlenstoffdioxid, wobei nur so viel Kohlenstoffdioxid anfällt, wie die Pflanzen zuvor der Atmosphäre entzogen haben, um daraus die für das Pflanzenwachstum erforderliche organische Substanz aufzubauen. In den Fermentern der Biogasanlage wird dieser aus der Atmosphäre stammende Kohlenstoff unter anderem zu Methan abgebaut. Das biologisch erzeugte Biomethan belastet daher bei der Verbrennung, anders als fossiles Methan im normalen Erdgas, die Atmosphäre nicht mit zusätzlichen Mengen klimaschädlichen Kohlenstoffdioxids. Mit der Jahresproduktion der SRH-Biogasanlage können etwa 7.250 Tonnen Kohlenstoffdioxid jährlich eingespart werden. (Um diese Menge Kohlenstoffdioxid der Luft zu entziehen, müssten 4.000 Fichten 100 Jahre alt werden.)
Das Biogasgemisch wird von drei Speichern aufgefangen und anschließend in der nebenstehenden Aufbereitungsanlage gereinigt, um Erdgasqualität zu erlangen.
Unter Volllast schafft es die Anlage stündlich bis zu 350 Kubikmeter Biomethan ins Erdgasnetz der Schleswig-Holstein AG einzuspeisen, welche wiederum Haushalte in Schleswig-Holstein und Hamburg mit Strom versorgt. Die erzeugte Energie entspricht dem Strombedarf von mehr als 11.000 Zwei-Personen-Haushalten.
Die übrig gebliebenen Gärreste werden mit etwas rohem Bioabfall vermischt, um eine optimale Ausgangslage für die anschließende Verrottung zu bilden. Über fünf Förderbänder gelangen die Bioabfälle in die 22 Meter breite und 125 Meter lange geschlossene Rottehalle und werden zu Kompostmieten aufgehäuft. Auf zehn gut belüfteten Rotte-Feldern findet der Kompostierungsprozess statt.
Das Herz der Kompostierungsanlage ist „Wendelin“, eine mächtige Maschine mit einem drei Meter hohen Schaufelrad. Sie schichtet die Mieten zweimal pro Woche um. Außerdem sorgt Wendelin dafür, dass das Material während des Reifeprozesses bedarfsgerecht bewässert wird. Die automatische Belüftung, die die Luft in den Mieten bis zu sechs Mal pro Stunde austauscht, garantiert eine gleichmäßige Sauerstoffversorgung des Rottematerials.
(Im Gegensatz zu ihren Kollegen in den Fermentern benötigen die Kompost-Mikroben Sauerstoff für ihre Arbeit.)
So sind alle Voraussetzungen für einen optimalen Abbau der organischen Stoffe geschaffen. Nach vier bis fünf Wochen ist die Kompostierung abgeschlossen.
Die Aktivität von Milliarden kleiner Bakterien und Pilze erzeugt Temperaturen von über 60 Grad. Das garantiert eine vollständige Hygienisierung des Produkts. Auch unerwünschte Wildkrautsamen können nicht mehr austreiben, wenn der Kompost im Garten oder auf dem Acker zum Einsatz kommt.
Nach dem Rotteprozess transportiert Wendelin den fertigen Kompost aus der Halle. Gesiebt und je nach Bedarf in Säcke verpackt oder als loses Material steht der organische Mehrnährstoffdünger von höchster Qualität (zertifiziert durch das RAL-Gütesiegel) dann für die Kunden bereit.
SULO – Lösungen schaffen, um den Müll von heute zur Ressource von morgen zu machen
Herford, im November 2021
Text: Jörg Rosenstengel
Fotografie: Imke Willmann
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